Der Meister Nadelöhr von Frankfurt (Oder) geht | Handwerkskammer Frankfurt (Oder) Region Ostbrandenburg

Zu Besuch im Handwerk Der Meister Nadelöhr von Frankfurt (Oder) geht

[vc_row][vc_column width=“2/3″][vc_column_text]Manfred Miecks Geschäft war eine Institution. Und weit über Frankfurt (Oder) hinaus bekannt. Jetzt schließt der letzte Maßschneidermeister der Stadt sein Atelier. Damit geht eine 124-jährige Familientradition zu Ende. Ein Interview über Kunst und Kunden, Kiepen und Klimmzüge. Von Mirko Schwanitz[/vc_column_text][vc_single_image image=“123529″ img_size=“large“][vc_column_text]DHB: Herr Mieck, warum hören Sie auf? Manfred Mieck: Wie alt schätzen …

[vc_row][vc_column width=“2/3″][vc_column_text]Manfred Miecks Geschäft war eine Institution. Und weit über Frankfurt (Oder) hinaus bekannt. Jetzt schließt der letzte Maßschneidermeister der Stadt sein Atelier. Damit geht eine 124-jährige Familientradition zu Ende. Ein Interview über Kunst und Kunden, Kiepen und Klimmzüge. Von Mirko Schwanitz[/vc_column_text][vc_single_image image=“123529″ img_size=“large“][vc_column_text]DHB: Herr Mieck, warum hören Sie auf?

Manfred Mieck: Wie alt schätzen Sie mich?

DHB: Ich wette, Sie sehen viel jünger aus, als Sie sind…

Manfred Mieck: Danke für die Blumen. Ich werde 87, mache jeden Montag Sport. Unter anderem Klimmzüge an der Stange. Aber auch wenn ich fit bin, glaube ich, das ich in meinem Alter das Recht habe, aufzuhören. Irgendwann muss ja mal Schluss sein.

DHB: Die Stadt wird Sie vermissen…

Manfred Mieck: Ich weiß. Aber was soll ich machen. Neulich rief ein Kunde an: Machen Sie mir noch ein Jackett? Nee, sage ich. Aber den Stoff, den besorgen sie mir doch noch? Na gut. Nach ein paar Wochen klingelt es wieder. Die Schneiderin, die dem Herren versprochen hatte, das Jackett zu machen, hätte noch nicht mal angefangen. Na gut, sag ich, kommen sie her. Aber bringen sie den Stoff mit. Die Kundin brachte mir den Stoff und erzählte, dass die Schneiderin erleichtert war, dass sie Auftrag und Stoff wieder loswurde.

DHB: Was sagt uns diese Geschichte?

Manfred Mieck: Das Maßschneider eigentlich gebraucht werden. Dass sie genug Arbeit hätten. Und dass es eben doch ein Unterschied ist, ob man Schneiderin oder Schneider oder Maßschneidermeisterin oder Maßschneidermeister ist. Sowas, wie in der Geschichte hätte es bei mir nicht gegeben. Ich hätte nie einen Auftrag angenommen, von dem ich weiß, ich kann das oder will das gar nicht.[/vc_column_text][vc_single_image image=“123530″ img_size=“large“][vc_column_text]

„Wenn Sie bei einem guten Maßschneider lernen wollen, müssen Sie bald nach Paris oder England gehen“

DHB: Wo finde ich denn jetzt eigentlich den nächsten Maßschneidermeister?

Manfred Mieck: Soweit ich weiß, müssen Sie da nach Potsdam fahren. Aber beeilen Sie sich. Der gute Mann dort ist, glaube ich, auch schon über 80. Unsere Zunft stirbt aus. Und eine Meisterpflicht besteht nicht mehr. Maßschneiderei ist eine Kunst, die ausstirbt.

DHB: Ihr Großvater hat den Betrieb gegründet…

Manfred Mieck: 1897. In Berlin. Später ist er dann nach Frankfurt gezogen. Da reichte die Stadt noch über die Oder. Und es gab genug Leute, die sich Damen- oder Herrenanzüge nähen ließen. Ob Sie es glauben oder nicht, aber hier hatten mal 199 Schneidergeschäfte ihr auskömmliches Auskommen. Während des 1. Weltkrieges ging er dann nach Wiesenau. Mit 50 Angestellten nähte er dort Uniformen. Frauen brachten sie auf ihren Rücken mit Kiepen bis nach Berlin.

DHB: Der Betrieb wurde zur Großnäherei?

Manfred Mieck: Damals gab es ja noch nicht diese Massenindustrie von heute. An eine  Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern in Billiglohnländern wie wir sie heute erleben, war damals nicht zu denken. Die Welt war weniger vernetzt. Die Mode wurde noch nicht verramscht.  Trends waren langlebiger. Vater belieferte immer auch Einzelkunden. Er nähte auch für die Familie von General Graf von Schwerin, der Anfang 1920 hier in Frankfurt im Generalstab der 1. Kavalleriedivision arbeitete und später das Ulanen-Regiment in Fürstenwalde übernahm. Davon hat der Großvater immer erzählt.

DHB: Ihr Vater hat beim Großvater gelernt und nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankfurt (Oder) eine Maßschneiderei betrieben?

Manfred Mieck: Mein Vater hatte den Betrieb 1926 wieder nach Frankfurt verlegt. Er wurde nicht eingezogen, da Schneider hier gebraucht wurden, musste dann aber zum Volkssturm und kam deswegen in Kriegsgefangenschaft. Als die Sowjetarmee die Oder überquerte, plünderte sie unser Geschäft, transportierte die Stoffballen ab und zündete dann unser Haus an.[/vc_column_text][vc_media_grid style=“lazy“ items_per_page=“3″ element_width=“3″ grid_id=“vc_gid:1616581857818-a5314e02-7c16-6″ include=“123531,123532,123533,123534,123535,123536,123571,123578,123579″][vc_column_text]

„Keine Auftragsannahme. 13 Jahre lang.“

DHB: Das haben Sie gesehen?

Manfred Mieck: Nein, das erzählte uns eine Frau aus der Nachbarschaft. Ich war mit der Mutter geflohen. Als wir ins zerstörte Frankfurt zurückkamen, war ich neun Jahre alt. Vater kam 1946 aus der Gefangenschaft zurück. Wie wir erfuhren, hatte er Glück im Unglück, war in Polen interniert und leitete die  Lagerschneiderei für die Russen. So bekam er mehr Essen. Es ging ihm etwas besser als anderen.

DHB: Sie haben dann beim Vater gelernt?

Manfred Mieck: Ich bin ja faktisch mit dem Geräusch der Nähmaschinen aufgewacht und eingeschlafen. Man könnte auch sagen, ich habe die Schneiderei mit der Muttermilch aufgesogen. Mein Vater hat seinen Betrieb dann weitergeführt und hatte acht Angestellte. 1951 hatte ich ausgelernt, 1956 machte ich meinen Meister. Seit 1957 arbeitete ich als selbstständiger Maßschneidermeister. 72 Jahre war ich Schneider.

DHB: Und haben viele Prominente eingekleidet.

Manfred Mieck: Auch. Ja. DDR-Minister kamen zu mir. Schauspieler. Mit Eberhard Cors verband mich eine gute Freundschaft. Auch wenn die etwas holprig begann. Beim ersten Besuch kam der mit seinem Manager. Etwas hochnäsig sah er mich nicht mal an, er redete nur mit seinem Manager. Einmal, kam er mit seinem neuen Mercedes SLK und freute sich wie ein Kind über Verdeck. Aber ich habe alle Kunden gleich behandelt. Das war mir wichtig.

DHB: Die DDR hatte eine große Textilindustrie. Hatte man als Schneider eigentlich genug zu tun?

Manfred Mieck (lacht): Als ich meinen Betrieb eröffnete, hängte ich ein Schild draußen an. Keine Auftragsannahme.

DHB: Wieso denn das?

Manfred Mieck: Weil ich bereits damals so viele Aufträge hatte, dass ich gar keine mehr annehmen konnte. Dann kam jemand vom Rat des Kreises und sagte, Herr Mieck, so geht das aber nicht. Ich hab’s aber erst nach der Wende abgenommen.

DHB: Wie erlebten Sie die Wende. Die Supermärkte kamen, die fliegenden Händler, die Billigware…

Manfred Mieck: Viele meiner Kolleginnen und Kollegen hatten damit ein Problem. Das weiß ich. Ich saß ja nicht nur in meiner Werkstatt. Viele gaben auf. Oder gingen in Vorruhestand. Ich habe mich in der Handwerkskammer engagiert, im Prüfungsausschuss, war Innungsobermeister. Ich bekam mit, was passierte. Natürlich war die Wende auch für mich ein Umbruch.

 

„Übergewicht und Cruisergewicht. Ich habe alle glücklich gemacht.“ 

DHB: Und sie blieben von Problemen verschont? Hatten immer Aufträge? Keine Durststrecke?

Manfred Mieck: Auch wenn Sie es mir nicht glauben, ich habe seit der Wende jede Woche einen Maßanzug genäht. Bis zur Corona-Pandemie und meiner Entscheidung, aus Altersgründen aufzuhören. Bis zum Schluss habe ich Kunden glücklich gemacht. Auch solche mit Übergewicht und mit Cruisergewicht?

DHB: Mit was bitte?

Manfred Mieck: Cruisergewicht. Einer meiner guten Kunden war der Boxweltmeister Torsten May. Ist zwar in Bad Freienwalde geboren, ist aber eigentlich ein Frankfurter Junge. Na ja, es gibt jetzt schon Kunden, die mich vermissen. Aber da bin ich hart. Ich nehme keine Aufträge mehr an. Nur die, die ich zugesagt hatte, mache ich noch fertig.

DHB: Warum gibt’s kaum noch junge Maßschneider-Meisterinnen und -Meister?

Manfred Mieck: Die rot-grüne Regierung unter Kanzler Schröder hat die Meisterpflicht in vielen Gewerken abgeschafft. Auch bei den Schneidern. Da aber nur Meister das Recht haben auszubilden, müssen viele weit fahren, um sich ausbilden zu lassen. Bis nach Thüringen oder Bayern. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, werden Interessentinnen und Interessenten in Zukunft wohl nach Paris oder England gehen müssen. Hoffen wir, dass es nicht soweit kommt.

DHB: Kann man denn mit Maßschneiderei heute noch gut verdienen?

Manfred Mieck: Die Kundinnen und Kunden, die sich heute Anzüge machen lassen, bezahlen zwischen 2000 und 5000 Euro für einen Anzug. Das sind dann zeitlos moderne, schöne Anzüge, die immer im Trend sind. Die haben sie, wenn sie ihr Gewicht halten, ein Leben lang. Also ja, Sie können als Maßschneiderin oder Maßschneider Menschen glücklich machen und gutes Geld verdienen. Und die Geschichte, die ich Ihnen eingangs erzählte illustriert: Maßschneider werden dringend gesucht. Der Preis ist auch ein Ausdruck von Angebot und Nachfrage.[/vc_column_text][/vc_column][vc_column width=“1/3″][cq_vc_employee name=“schwanitz“][vc_message icon_fontawesome=“fa fa-map-marker“]

Maßschneiderei Manfred Mieck
Langer Grund 19
15236 Frankfurt (Oder)

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0335 544020

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